Das Sprengel Museum Hannover ehrt Karl Weschke
Das Sprengel Museum Hannover ehrt zu seinem 100. Geburtstag den in seinem Heimatland fast unbekannten deutsch-britischen Maler Karl Weschke (1925-2005).
Obwohl Karl Weschke einer der bedeutendsten deutschen Maler der Nachkriegszeit ist, seine Werke werden weltweit gesammelt und hängen in allen bedeutenden Museen Großbritanniens, davon acht Werke allein in der Tate Gallery, kennt ihn in seiner Heimat Deutschland nach wie vor kaum jemand. Anlässlich des Jubiläums finden diverse Ausstellungen im In-und Ausland statt, so in Dublin, an der Universität von Plymouth und in Weschkes Heimatstadt Gera. Das Sprengel Museum Hannover beteiligt sich in Kooperation mit der in Hannover lebenden Enkelin des Künstlers, Saskia Renner, an den Feierlichkeiten und veranstaltet am 21. Juni 2025 einen Themennachmittag rund um den außergewöhnlichen Künstler. Zu Wort kommen bedeutende Weggefährten aus Film und Fernsehen, es wird ein Dokumentarfilm „Karl Weschke - Mythos eines Lebens“, (NDR/Arte), gezeigt und im Anschluss zu einem Empfang im Calder-Saal des Museums geladen.
ZUM KÜNSTLER
Karl Weschke wurde am 7. Juni 1925 in Gera geboren. Als uneheliches Kind aus ärmlichen Verhältnissen hatte er eine harte Kindheit. Seine Mutter, die drei Kindern von verschieden Vätern hatte, gab ihn als Kleinkind in eine Waisenhaus und holte ihn später zu sich zurück. Seinen Vater, ein Anarchist, kam 1945 im Konzentrationslager Buchenwald ums Leben. Weschke verbrachte seine Kindheit als Straßenjunge. Als Jugendlicher suchte er halt bei der Hitlerjugend, die ihm ein besseres Leben in Würde und Gemeinschaft zu versprechen schien. Minderjährig meldete er sich freiwillig zur Luftwaffe und geriet als Bordschütze 1945 in britische Kriegsgefangenschaft. Dort erfuhr er von der Ermordung seines Vaters durch die Nazis und sein Weltbild geriet ins wanken. Er kam in das Umerziehungslager Radwinter in Essex, aus dem mehrere Künstler hervorgingen. Die Kriegsgefangenschaft war, so sagte er, das beste, was ihm im Leben passiert sei. Dort sei nicht nur ein Maler, sondern ein Mensch aus ihm geworden. Die Briten erkannten und förderten sein Talent. Er konnte an der Universität Cambridge studieren. Später besuchte er die St. Martins School of Art in London und die Bath Academy of Art, wo er bei namhaften Künstlern wie Peter Lanyon studierte. Nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft 1948 lebte er das sprichwörtliche Leben des armen Künstlers, der jede Arbeit annahm, um malen zu können. Unter anderem arbeitete er für British Railways, in der Marmeladenfabrik Tiptree’s, als Platzanweiser im Kino, als Bühnenbildner im Ballett und sogar als Löwenfütterer im Zirkus. Nach Auslandaufenthalten in Spanien und Schweden 1953-56 kehrte er nach London zurück, wo er in den folgenden Jahren zu einer der führenden Figuren in der britischen Kunstszene wurde. Ab 1960 lebte er am äußersten Ende Englands, auf einer Klippe am Cape Cornwall mit einer spektakulären Sicht auf die wilde See. Die Landschaft, Meer, Felsen und der wechselhafte Himmel, wurde zu seiner dauerhaften Inspiration. Weschke entwickelte einen unverwechselbaren Stil mit Anklängen an der deutschen Expressionismus, der sich durch einen kühnen Einsatz von zumeist düsteren Farben, dynamischen Pinselstrich und rohe Intensität auszeichnet. Er verarbeitete Themen wie Trauma, Tod, Gewalt und die existentielle Einsamkeit und die Kämpfe des Individuums in einer bedrohlichen Welt. Seine Bilder zeigen oft surreale Landschaften, bewohnt von einsamen Figuren, die ein Gefühl von Isolation und Entfremdung hervorrufen. Weschke war weitgehend Autodidakt, jedoch tief verwurzelt in der europäischen Malerei und Mythologie und schuf daraus verwoben mit seinen persönlichen Erfahrungen Werke von tiefer Existentialität. Obwohl Weschke immer wieder in renommierten Gallerien ausstellte, kam der Erfolg spät. 1978 kaufte die Tate Modern ein erstes Gemälde an, von da an ging es aufwärts. Mit einer Reise nach Ägypten 1990 erfüllte sich Weschke einen Lebenstraum, der sein Spätwerk maßgeblich beeinflusste. Seine Farbpalette änderte sich hin zu Helligkeit und Licht. Die letzten Jahre seines Lebens waren geprägt von Anerkennung und Versöhnung. Die Ehrendoktorwürde der Universität Plymouth und eine Retrospektive der Tate St. Ives waren eine späte Würdigung des künstlerischen Außenseiters. Im Jahr 2000 kam eine Dokumentation über sein Leben ins deutsche Fernsehen, die auch dazu führte, dass er eine verschollene deutsche Tochter wieder fand. 2001 widmete ihm die Kunstsammlung Gera eine Ausstellung, die bisher einzige in Deutschland überhaupt. 2003 verlieh ihm der deutsche Botschafter Thomas Matussek in London das Bundesverdienstkreuz. 2004 wurde er Ehrenbürger der Stadt Gera. Weschke war zeitlebens ein Einzelgänger, der sich abseits des Kunstbetriebes hielt. Er war nie Teil der St. Ives School, die er „Bloomsbury on Sea“ nannte. Für sogenannte „arty-farty people“ brachte er kein Verständnis auf. Obwohl gut vernetzt in der britischen Kunstszene, Freunde waren Bryan Winter, Roger Hilton oder Francis Bacon, pflegte er engere Freundschaften mit Schriftstellern wie John le Carré oder dem Poeten W.S.Graham. Als ein äußerst charismatischer und attraktiver Mann, der in späteren Jahren eine frappierende Ähnlichkeit mit Picasso entwickelte, hatte er lebenslang großen Erfolg bei Frauen. Weschke war drei mal verheiratet (mit Alison de Vere, Liese Dennis und Petronilla Spencer-Silver) und hatte zahlreiche Beziehungen und Affären. Er hinterließ fünf Kinder aus vier Beziehungen und hat heute neun Enkelkinder. Zu Lebzeiten lenkte sein farbenfrohes Privatleben oft von seiner außergewöhnlichen Leistung als Künstler ab. Karl Weschke starb am 5. Februar 2005 in seiner Wahlheimat Cornwall. Zu seiner Trauerfeier in Truro kamen mehrere hundert Menschen. Die Tate Gallery London ehrte ihn anschließend mit einer Memorial-Feier. 2007 wurde an dem Haus in Gera, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, eine Gedenktafel enthüllt.
DIE REDNER
THOMAS GRUBE
Geb. 1971 in Berlin, deutscher Autor, Regisseur und Filmproduzent. Gemeinsam mit seinem Partner Uwe Dierks gründete er die Produktionsfirma Boomtown Media, die zahlreiche Dokumentarfilme zu kulturellen Themen mit einem Schwerpunkt auf Kunst und klassischer Musik realisierte. Für seinen Film „Rythhm is it“ über Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker, der zu den erfolgreichsten deutschen Dokumentarfilmen aller Zeiten zählt, erhielt er u.a. 2005 den Deutschen Filmpreis. „Karl Weschke - Mythos eines Lebens“ war die erste gemeinsame Produktion von Grube und Dierks, sie waren Karl Weschke seitdem freundschaftlich verbunden.
THOMAS SCHREIBER
Geb. 1959 in Köln. Deutscher Journalist und seit 2021 Geschäftsführer der ARD[1]Tochter Degeto Film. Zuvor Redakteur bei Tagesschau und Tagesthemen, Korrespondent für NDR und WDR in London, Leiter des NDR-Programmbereichs Kultur, Leiter des ARD-Programmbereichs Fiktion&Unterhaltung, Produktionsleiter des Eurovision Song Contest 2011. Herausragende Produktionen wie „Die Päpstin“ oder „Babylon Berlin“. Zahlreiche Auszeichnungen (Deutscher Fernsehpreis 2008, 2010, 2011, Echo 2011). Schreiber lernte Karl Weschke in den späten 1990er Jahren über den gemeinsamen Freund und Schriftsteller John le Carré kennen und initiierte den Dokumentarfilm über ihn.
ES SPRECHEN
Reinhard Spieler Direktor Sprengel Museum Hannover
Saskia Renner Historikerin, Enkelin des Künstlers
Thomas Grube Regisseur und Filmemacher, Boomtownmedia
Thomas Schreiber Geschäftsführer DEGETO
Vorführung Film „Karl Weschke - Mythos eines Lebens“ (NDR/Arte 2000) Deutsch, 52 Min. Anschließend Empfang im Calder-Saal bis 18 Uhr
VERANSTALTUNGSDATEN
Datum: Samstag, 21. Juni 2025
Uhrzeit: 15:00–18:00 Uhr
Ort: Sprengel Museum Hannover, Calder-Saal
Eintritt: Museumseintritt (7 Euro, ermäßigt 4 Euro)
Mit freundlicher Unterstützung von
Marktkirche Hannover, Hackerodt Stiftung, Schostok Creative Consulting, Leine Trends Hannover, Hannover Bristol Gesellschaft